UteGlaser                                                                                                                                                E-Mail                    
Journalistin

 

8. April 2004

Koelner Stadt-Anzeiger online - www.ksta.de

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Mit Geduld und Kreativität gegen Elend

Mit 29 ging Stefan Siemons nach Südamerika, um ein Jahr zu bleiben. Jetzt ist er 35, hat eine Schule gegründet und plant eine Instrumentenbauwerkstatt.

Kürten / Sao Paulo - Palmen, üppige Blüten, Bananen - dazwischen Bretterhütten, die am Hang kleben, oft nur so lange, bis der nächste starke Regen sie wegspült. „Und es stinkt erbärmlich“, sagt Stefan Siemons, Der 35-Jährige streift immer wieder durch die Favelas, die Slums der brasilianischen Metropole Sao Paulo. 18 Millionen Menschen sollen in der Stadt leben, viele in Behausungen aus Brettern, Pappe und Wellblech, ohne Fußboden, Licht und Wasser. Siemons hat hineingeschaut, viele der Ärmsten besucht.

Eine siebenköpfige Familie, die mit 30 Euro im Monat auskommen muss, sei keine Seltenheit. Was soll aus den Kindern werden? Auf die Frage hat Stefan Siemons, der in Kürten-Olpe aufwuchs, eine Antwort gefunden: Er gründete vor einem Jahr die „Associaçao Comunitaria Clave de Sol“, einen von Unicef anerkannten Verein im Vorort Itapecerica da Serra, direkt am Slum Sao Marcos, und baute eine schulische Einrichtung auf.

Ohne Selbstvertrauen

„Eigentlich haben wir schon im Mai 2002 mit der Arbeit angefangen“ erzählt Siemons, „zurzeit haben wir 90 Kinder bei uns.“ Sieben bis 14 Jahre sind sie alt. „Und jedes hat so viele Probleme.“ Manche leiden unter Vätern, die vom Zuckerrohrschnaps abhängig oder Gewalttäter sind, manche stecken in Drogengeschäften oder wurden sexuell missbraucht. Analphabeten sind die meisten, obgleich sie staatliche Schulen besuchen. „Viele haben jahrelang Klebstoff geschnüffelt. Wenn sie zu uns kommen, haben sie keine Selbstachtung und kein Selbstvertrauen.“

Das schulische Angebot beginnt um 7.30 Uhr mit Gebet und Frühstück, die Stadt spendet die Brötchen. Um 8 Uhr startet der freiwillige Unterricht. Noten und Tests gibt es nicht. Der Unterricht soll das staatliche Angebot ergänzen, keine Konkurrenz sein. Siemons geht auch in der Methodik andere Wege, arbeitet fächerübergreifend. So hat er Bambusflöten herstellen lassen, deren Bohrlöcher die Kinder mathematisch berechnen mussten, über deren Bau sie in Portugiesisch diskutieren sollten und deren Funktion im Musikunterricht überprüft wurde. „Musik und Kunst sind unser Schwerpunkt.“ Gewalt und Aggression ließen sich so am besten in einem Land bearbeiten, das letztes Jahr 50 000 Kriminalitätstote zählte. „Die Waffen sitzen locker.“ Das Schulgelände sei daher umzäunt und nachts von Hunden bewacht.

Ursprünglich wollte Stefan Siemons nur für ein Jahr nach Brasilien. Das war 1989, als er seinen Meister als Instrumentenbauer gemacht hatte und etwas anderes sehen wollte. So ging der damals 29-Jährige, der bereits Abschlüsse als Groß- und Einzelhandelskaufmann und Musikalienhändler in der Tasche hatte, von Olpe nach Corumba, wo er in einer Kindertageseinrichtung der Salesianer als Musiklehrer arbeitete. Er fand Zugang zur Bibel und Freude am Umgang mit Slumkindern, träumte davon, eine Instrumentenbauwerkstatt mit ihnen aufzumachen. Als die Salesianer das nicht unterstützten, ging er nach Sao Paulo, um seinen Traum umzusetzen.

Schwerer Anfang

Das war der Beginn seines Projekts. Inzwischen beschäftigt er vier Mitarbeiter. Außerdem unterstützt ihn seine Frau Christine, Lehrerin in einem Kinderheim. „Wir sind aktiv daran beteiligt, die Welt zu gestalten“, sagt Stefan Siemons. Doch er gesteht, dass es oft hart ist. Gerade der Anfang auf dem gut 1000 Quadratmeter großen Grundstück im Urwald war schwer. Das Haus, das darauf stand, war seit vielen Jahren verlassen und marode. Der Deutsche zimmerte, mauerte, strich an, grub um, hub eine Klärgrube aus - oft mit Hilfe von Freunden aus Olpe. Auch die Einrichtung stammt zum Teil aus dem Bergischen: Werkzeuge für die Instrumentenbauwerkstatt, ausgediente Blasinstrumente, Werkbänke, Lötmaschine und Tischfußball. „Ich meine, dass es sich lohnt, eine Instrumentenbauwerkstatt aufzubauen“, ist Stefan Siemons überzeugt. Den Brasilianern liege Musik schließlich im Blut. Über diesen Zugang ließen sich dann auch leichter andere Inhalte transportieren: Kulturelles, Hygiene, Ernährung, Sexualaufklärung, Umwelterziehung.

In der Umgebung, in der das Pferd noch übliches Verkehrsmittel ist, braucht der Mann mit den bergischen Wurzeln und der brasilianischen Familie, zu der auch die achtjährige Hellen gehört, viel Geduld. Es ist oft mühsam, die Kinder vom Betteln abzuhalten, die Eltern zum Mitmachen zu bewegen und Spender um Unterstützung zu bitten. „Wir wollen den Leuten nicht den Fisch geben, sondern die Angel.“ Woraus Siemons Kraft schöpft? Aus seinem Optimismus, dem christlichen Glauben und der Musik. „Ohne Bläck Fööss geht es nicht.“

Kontakt: associacaoclavedesol@uol.com.br und 0 22 68 77 68 19.

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