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Journalistin

  

Donnerstag, 22. November 2006
    

   

UNSERE STADT: Vorfreude

Von Ute Glaser

Es gibt wirklich kaum ein Gespräch, dass sich dieser Tage nicht ums Wetter dreht. Kein Wunder, es betrifft uns alle. Und während der gemeine Deutsche durchaus die Wärme liebt, so ist er doch gleichzeitig grüblerisch-nörglerisch gepolt.

Weshalb er hinter diesen außergewöhnlich warmen Herbsttagen Übles argwöhnt: Da lauert doch etwas! Zweifellos eine Gefahr! Eine Klimakatastrophe!

Denn so ist es in unserer gleichmachenden Welt inzwischen: Alles, was nicht die Norm ist, wird schnell zur Katastrophe abgestempelt: der Cholesterinwert dies- oder jenseits des Durchschnitts, das ausländische Gesicht in der Villensiedlung, die zu große oder kleine Nase, das Sitzenbleiben des Sprösslings.

Ich bin da - meistens - ganz anders drauf. Nun ja, es wundert mich schon etwas, dass in meinem bergischen Gartenbeet Ende November die Osterglocken sieben Zentimeter weit aus der Erde gucken. Aber ist es nicht herrlich, durch den Herbstwald spazieren zu gehen? Oder vom Bürofenster in den blauen Himmel zu gucken?

Im Auto hätte ich beinahe gejubelt, als mein Blick auf die Temperaturanzeige fiel: 17 Grad! "Bei 18 Grad darfst du Kniestrümpfe anziehen", pflegte meine Mutter früher zu mir zu sagen. Herr Wenzel ist auch schon voller Vorfreude: Als er uns gestern die Post zustellte, trug er zur Hose nur das kurzärmelige Sommerhemd seiner Post-Uniform.

"Und wenn das so weiter geht", frohlockte er, "ziehe ich morgen wieder die Shorts an!"

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